„Ich liebe Clowns. Sie liefern einen Ausweg. Sie scheitern dauernd, aber durch ihre Resilienz und kreative Kraft machen sie aus dem Scheitern ein Kunstwerk voller Liebe.“
Rolando Villazón, Opernsänger
Die Liste der stressauslösenden Faktoren in unserer Gesellschaft, die Referent Ulrich Pommerenke am vergangenen Donnerstagabend präsentierte, schien unendlich, angeführt von Corona und seinen Nachwirkungen. Es folgen die Inflation und steigende (Energie-)Kosten, der Ukraine-Krieg, Klimawandel, diverse Süchte – u.a. Mediensucht, die einhergeht mit der viralen Gesundheits- und Fitnesswelle uvm. Den Hang zur Selbstperfektionierung diagnostiziert er als gefährlich. Doch der Slogan „Stillstand bedeutet Rückschritt“ hat längst alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchseucht, sei es im Privaten, bei der Arbeit oder in der Schule. Perfektionismus in allen Bereichen anzustreben sorgt für Stress. Doch was ist das eigentlich: Stress?
Stress empfinden wir, wenn wir glauben, einer Belastung nicht gewachsen zu sein. Unser Körper reagiert mit Warnsignalen, Dauerstress kann krank machen. Von Pommerenke angeführte Untersuchungen belegen, dass 73 % der jungen Menschen mit Stress zu kämpfen haben, im Klartext: In einer durchschnittlichen Klassenstärke von 30 Schüler:Innen sitzen 22 junge Menschen, deren psychische Belastung ihre Handlungsfähigkeit, ihre Leistungsfähigkeit, vielleicht sogar ihr Privatleben beeinträchtigt. Hier kommt die Resilienz ins Spiel.
Die Bezeichnung stammt aus der Physik und bezeichnet ursprünglich die Fähigkeit eines Stoffes, nach extremer Krafteinwirkung wieder in seinen Ursprungszustand zurückzukehren, wie bei einem eingedrückten Gummiball. Übertragen in die Psychologie meint Resilienz also die Fähigkeit, mit Krisen, Stress oder Schicksalsschlägen so umzugehen, dass man daran nicht dauerhaft erkrankt oder psychisch zerbricht. Was aber, wenn ich eher eine Christbaumkugel als ein Gummiball bin?
Die positive Nachricht des Abends: Resilienz kann man trainieren wie einen Muskel. Ein Perspektivwechsel ist vonnöten: Denn Stillstand, also den Kopf in den Sand stecken, ist in Krisenzeiten keine dauerhafte Lösung. Durchatmen sicherlich, doch nach der Stagnation muss ein Prozess in Gang gesetzt werden, Veränderung ist also unabdingbar. Hier verweist Pommerenke auf einen interessanten Dreisatz, den schon Henry Ford gepredigt haben soll: Love it. Change it. Or leave it. Zu Deutsch: Versuche entweder, die Situation an- und ihre Vorzüge wahrzunehmen; wenn es unerträglich ist, ändere sie; wenn die Situation nicht zu ändern ist, lass sie hinter dir. Zu Recht erwarteten anwesende Schüler:Innen des zwölften Jahrgangs aus dieser kryptisch anmutenden Lösung eine handfeste Ableitung: Wie jonglieren sie bestmöglich Schule und Freizeit nebst lebensnotwendigen Tätigkeiten wie Essen und Schlafen, wo sie doch in zwei Wochen eine 15-seitige Facharbeit abgeben müssen (der kleinere Teil des Publikums denkt an die Zeit, in der eben jene Facharbeiten in zwanzigfacher Ausführung den Schreibtisch korrigiert verlassen wollen)? Das System können sie nicht ändern, es zu lieben fällt schwer: Also die Schule verlassen?
Love-Change-Leave scheint auf der Zielgeraden Richtung Abitur eher Hohn statt eine akzeptable Lösung für die Oberstufenschüler:Innen zu sein. Weitere von Pommerenke angeführte Strategien sind bei näherer Betrachtung zwar hilfreich, aber keine spontanen Patentrezepte bei akuter Notfalllage, sondern eher Langzeitstrategien. Aber was tun, wenn es akut brennt? Priorisierung lautet das Stichwort, das in der Schlussdiskussion vonseiten der Eltern in den Raum geworfen wird. Dann muss man schauen, welches Feuer am schlimmsten brennt und dieses zuerst löschen. Dann das nächstkleinere. Und so weiter.
DER – sowohl von Schüler:Innen wie auch Eltern und Lehrer:Innen sehnsüchtig erwartete – Geheimtipp zur Stressbewältigung blieb am Ende leider aus. Resilienz bleibt eine zu erwerbende Schlüsselkompetenz im Unterrichtsfach, das sich „Leben“ nennt. Und es bleibt wohl am Ball selbst, zu schauen, mit welchen Mitteln er sich selbst erfolgreich wieder in seine ursprüngliche Situation zurückbringen kann.
DUB